Der Mann, der die Fabriken der Autoindustrie am Laufen hält
Markus Glaser-Gallion fährt privat lieber Fahrrad als Auto. Dabei steuert er einen der wichtigen Industriedienstleister der Automobilbranche.
Markus Glaser-Gallion fährt jeden Tag mit dem Fahrrad ins Büro. Der 62 Jahre alte Vorsitzende der Geschäftsführung des in Stuttgart ansässigen Industriedienstleisters Leadec ist selten mit dem Auto unterwegs. Dabei läuft ohne die Unterstützung des schwäbischen Konzerns in der globalen Automobilindustrie wenig - denn das Unternehmen hilft den Herstellern unter anderem bei der Wartung und Reinigung von Maschinen und Produktionsanlagen, bei der innerbetrieblichen Logistik und Verwaltung und Bewirtschaftung von Gebäuden. "Alle klassischen europäischen Premiumhersteller sind unsere Kunden", sagt Glaser-Gallion und zählt ein paar Namen auf. Er nennt Mercedes-Benz und BMW als Beispiele und im Nutzfahrzeugbereich Daimler Truck, Scania oder Traton.
In seiner Familie muss sich der Diplom-Kaufmann, der im westfälischen Münster studiert hat, rechtzeitig zu Wort melden, wenn er das Auto braucht. Die aktuelle Diskussion um das geplante Aus für den Verbrenner in der Europäischen Union von 2035 an trifft das Unternehmen erst einmal nicht. Man sei nicht von der Technologie der Autos abhängig. "Für uns ist nur wichtig, dass Auto gefahren wird." Täglich werden von den Schwaben mit ihren rund 23.000 Beschäftigten 900 Fabriken betreut. Davon sind knapp die Hälfte Werke von Automobil- und Nutzfahrzeugherstellern sowie Zulieferern.
“Unser Fokus liegt immer auf den Fertigungsprozessen, nicht auf dem Produkt.”
Die Aufgaben von Leadec für die Kunden sind sehr unterschiedlich. So ist das Unternehmen für eine Mercedes-Tochtergesellschaft in Arnstadt, die dort Kurbelgehäuse für besonders leistungsstarke Motoren veredelt, als technischer Dienstleister tätig. Die hochkomplexen Produktionsanlagen umfassen unterschiedlichste Anlagentechnik wie Bearbeitungszentren, Robotertechnik oder Lichtbogendrahtspritzanlagen. Als herstellerunabhängiger Dienstleister übernehmen die Stuttgarter dort mit 50 Beschäftigten unter anderem die Produktionsinstandhaltung, Automatisierung und technische Reinigung sämtlicher Anlagen oder auch Leistungen in der innerbetrieblichen Logistik, wie Glaser-Gallion erläutert.
Das Unternehmen ist die einstige Industriedienstleistungssparte von Voith, die inzwischen zu rund 90 Prozent dem Finanzinvestor Triton gehört und zu rund zehn Prozent dem Management. Glaser-Gallion ist von Anfang an mit dabei. Er prägt das Unternehmen seit Jahren und war schon bei Voith mit an Bord. "Einen eigenständigen Service-Champion aufzubauen ist charmant und etwas anderes, als die Division innerhalb eines Konzerns zu verantworten. Grundsätzlich hat eine eigenständige Servicesparte bei einem klassischen Anlagenbauer keinen leichten Stand", sagt er.
Bevor Glaser-Gallion im Jahr 2003 Mitglied der Geschäftsführung von Voith Industrial Services wurde, war er in verschiedenen Managementpositionen tätig, unter anderem bei Raab Karcher und als Vorsitzender im Sanierungsbeirat der Wellenmöbel GmbH. Bei Leadec hat er in den vergangenen Jahren vor allem die Abhängigkeit von der Automobilindustrie verringert. "Am Anfang betrug der Automobilanteil am Umsatz mehr als 90 Prozent. Jetzt sind es 55 bis 60 Prozent." Ziel sei es, den Autoanteil am Umsatz in zwei bis drei Jahren auf 50 Prozent zu senken. Der Umsatz der Leadec-Gruppe ist 2024 um sechs Prozent auf mehr als 1,3 Milliarden Euro gestiegen. Für 2025 rechnet Glaser-Gallion mit Erlösen zwischen 1,3 und 1,4 Milliarden Euro. Angaben zum Gewinn macht das Unternehmen keine. Aber der Manager fügt hinzu: Das Ergebnis solle deutlich über dem des Vorjahres liegen.
Den globalen Gesamtmarkt für technische Dienstleistungen im Automobil- und Nutzfahrzeugbereich schätzt er auf mehr als 20 Milliarden Euro. Diese Industrie sei einer der Vorreiter für Auslagerungen gewesen. "Ich gehe davon aus, dass das Thema im Bereich Gebäude und Wartung langfristig noch zunehmen wird", sagt er. “Die Hersteller werden sich schon wegen der Kosten immer mehr auf die Produktion fokussieren.”
Der größte Markt für die Schwaben ist Deutschland, gefolgt von den Vereinigten Staaten und England. Mit Dienstleistungen rund um die Elektromobilität werden inzwischen mehr als 100 Millionen Euro Umsatz erzielt. Das zunehmende Umweltbewusstsein und die Pläne zur Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen bieten nach Ansicht des Leadec-Chefs weitere Chancen für Wachstum. Im Bereich grüne Services beträgt der Umsatz inzwischen deutlich mehr als 100 Millionen Euro. Hier werden beispielsweise Photovoltaikanlagen installiert, oder die Ladeinfrastruktur in den Fabriken wird aufgebaut und betrieben.
Glaser-Gallion hat auch die Internationalisierung vorangetrieben. Inzwischen sind die Schwaben in 16 Ländern aktiv. Dabei folgt das Unternehmen seinen Kunden ins Ausland. Das ist so wie bei den Automobilzulieferern. Leadec zog es zum Beispiel mit Scania nach Frankreich. Ein Schwerpunkt ist dort unter anderem die Logistik. Es werden dort leere Verpackungen aus dem Scania-Werk gesammelt, sortiert und zum Verpackungsumschlagzentrum transportiert. Dort werden Hunderte Tonnen an Verpackungen - von Holz über Kunststoffe bis hin zu Schaumstoffen - zerlegt, sortiert und für die Wiederverwendung vorbereitet. Danach gelangen die Materialien zurück zu den Scania-Zulieferern. Dieser geschlossene Logistikprozess reduziere Abfälle und spare Ressourcen, so der Manager, der offenbar erwartet, dass sich der Haupteigentümer bald von dem Unternehmen trennt. "Mit Triton sind wir im Herbst unserer Beziehung", sagt der Zweiundsechzigjährige, macht eine kurze Pause und wechselt das Thema. Im Markt heißt es, UBS sondiere.
Leadec ist aber nicht nur für Auto- und Nutzfahrzeughersteller tätig, sondern auch in der Lebensmittelindustrie und im Flugzeugbau. Unter anderem. "Die Serien bei den Flugzeugherstellern sind kleiner", sagt Glaser-Gallion. Und bei Onlinehändlern wird klassisch die Fördertechnik instand gehalten und gleichfalls die Programmierung von Förderanlagen übernommen. In Verteilzentren ist für den Industriedienstleister in der Regel weniger Arbeit zu leisten als in einem klassischen Werk, in dem etwas produziert wird.
Glaser-Gallion sieht Chancen, dass die Schwaben auch am Geschäft rund um Künstliche Intelligenz mitverdienen können. Entsprechende Dienstleistungen für Rechenzentren könnten künftig hinzukommen, sagt der Manager, der einen Käfer aus dem Jahr 1973 besitzt. Mit ihm fährt er zwar gern - aber nicht in sein Büro in einem Stuttgarter Industriegebiet. Da bevorzugt er lieber sein Trekkingrad.