Der Arbeitsmarkt befindet sich im Wandel, Bewerbungsverfahren verändern sich und KI spielt zunehmend eine Rolle. Tatjana Bieker, Leiterin Talent Acquisition & Employer Branding Europa bei Leadec, spricht im Interview über aktuelle Entwicklungen im Recruiting, besondere Herausforderungen und warum klassische Ansätze längst nicht mehr ausreichen.
„Recruiting ist weitaus mehr als nur Lebensläufe prüfen“
Frau Bieker, wie würden Sie die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt beschreiben?
Die Situation ist durchwachsen und deutlich angespannter als noch im Jahr 2023. Es kommt stark auf das jeweilige Berufsfeld an. Technische Fachkräfte sowie Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer sind weiterhin gefragt. Dagegen werden kaufmännische Angestellte sowie Fachkräfte im IT- oder Ingenieurwesen derzeit seltener gesucht.
Besonders herausfordernd ist die Lage für diejenigen, die gerade ihre Ausbildung oder ihr Studium abgeschlossen haben. Oft heißt es, ihre Jobs würden bald durch KI ersetzt werden. Ich finde, das lenkt vom eigentlichen Problem ab, und halte diese Aussage zumindest teilweise für vorgeschoben. Es gibt einfach insgesamt weniger Stellen – das merken alle, die neu starten wollen.
Spürt Leadec diese Entwicklung? Gibt es auch positive Effekte?
Ja, aber nur begrenzt. Wir erhalten zwar insgesamt mehr Bewerbungen, aber viele passen leider nicht zu den konkreten Anforderungen, die wir im Bereich Industriedienstleistungen haben. Auch Umschulungen lassen sich nicht immer realisieren, obwohl wir insbesondere im technischen Bereich unser Angebot erweitern möchten.
Welche Strategien verfolgt Leadec beim Recruiting?
Unsere Ziele und Teilstrategien leiten wir aus der Unternehmensstrategie ab, beispielsweise mit Blick auf unterschiedliche Servicelines und Zukunftsszenarien. Daraus entwickeln wir dann unsere Maßnahmen, um die jeweiligen Zielgruppen zu erreichen. Und dafür setzen wir auf eine gezielte Ansprache – zum Beispiel mithilfe von Personas, die uns helfen, unsere Zielgruppen besser zu verstehen. Welche Benefits sind relevant? Welche Erwartungen gibt es? Das ist so unterschiedlich wie die Berufe selbst.
Personalmarketing über Social Media, Active Sourcing auf Plattformen wie LinkedIn oder der persönliche Kontakt auf Messen sind für uns wichtige Wege, um passende Talente zu erreichen.
Ein echter Erfolgsfaktor ist auch unser internes Programm „Mitarbeitende werben Mitarbeitende“. Zusätzlich arbeiten wir eng mit Hochschulen, Berufsschulen sowie der IHK und HWK zusammen – denn Netzwerke sind im Recruiting Gold wert.
Und wie sieht es mit internationalem Recruiting aus?
Unser internationales Recruiting gewinnt zunehmend an Bedeutung – vor allem dort, wo Fachkräfte in Deutschland schwer zu finden sind. Ein gutes Beispiel ist der Bereich Elektrotechnik. Hier bauen wir unsere Aktivitäten gezielt aus: zum einen mit Hilfe spezialisierter externer Partner, zum anderen über unser internes Leadec-Netzwerk.
Auch projektbezogen rekrutieren wir international, etwa bei Produktionsanläufen. Dabei kommt es uns weniger auf den Standort an. Wichtiger ist die Qualifikation. Entscheidend für den Erfolg ist ein starkes Netzwerk – innerhalb des Unternehmens und nach außen.
Ein Baustein in diesem Zusammenhang ist das Transitionsprogramm der USO (United Services Organization) in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Es unterstützt US-Militärangehörige, deren Dienstzeitende ansteht, beim Einstieg in den zivilen Arbeitsmarkt. Wir konnten bereits mehrere Talente für Leadec gewinnen und insbesondere in der IT erfolgreich Positionen besetzen. Ich sehe aber auch Potenzial in anderen Bereichen zum Beispiel der Logistik.
Wie verändert die Transformation der Industrie Ihre Arbeit?
Die gesuchten Profile haben sich deutlich verändert. IT-Know-how ist fast immer gefragt. Und auch das Zusammenspiel von Mensch und Maschine wird im Umfeld von Industrie 4.0 immer wichtiger.
Deshalb setzen wir intern stark auf Weiterbildung. Recruiting und Personalentwicklung arbeiten eng zusammen, um unsere Teams fit für die Zukunft zu machen.
Wenn Sie an aktuelle Herausforderungen im Recruiting denken, was fällt Ihnen ein?
Die Erwartungen von Bewerbenden haben sich spürbar verändert – ganz unabhängig davon, ob sie aktiv auf Jobsuche sind oder von uns angesprochen werden. Viele wünschen sich einen schnellen, transparenten Bewerbungsprozess.
Dazu kommen neue Themen wie Ghosting, also das plötzliche Abtauchen ohne Rückmeldung, sowie gefälschte Bewerbungen und Sicherheitsrisiken durch Phishing oder Spam-Mails. Das erfordert viel Sensibilität und Aufmerksamkeit in ganz unterschiedlichen Bereichen.
Welche Rolle spielt KI im Recruiting?
Aktuell ist KI bei uns vor allem unterstützend im Einsatz – zum Beispiel bei der Planung und Auswertung von Kampagnen. Unser Team beschäftigt sich aktiv mit dem Thema, bleibt dabei aber vorsichtig, gerade auch mit Blick auf die sensiblen Daten, mit denen wir es zu tun haben.
Klar ist: Entscheidungen über Menschen treffen wir nicht automatisiert. Soft Skills, Persönlichkeit und Teamgeist – das erkennt keine Maschine so gut wie ein Mensch. Gerade deshalb erwarte ich eine echte Renaissance des persönlichen Gesprächs, auch als Reaktion auf neue Herausforderungen wie Deep Fakes.
Was macht Ihnen persönlich am Recruiting bei Leadec besonders Spaß?
Ganz klar: die Vielfalt und Dynamik. Kein Tag ist wie der andere, und man kann immer wieder Neues ausprobieren – gerade im Bereich Kampagnen oder bei der Ansprache neuer Zielgruppen.
Ich schätze außerdem die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Leadec-Fachbereichen. Wir ziehen gemeinsam an einem Strang und denken strategisch. Und das Wichtigste: Wir haben im Unternehmen die Freiheit, neue Wege zu gehen. Das macht richtig Freude.